Fast bereue ich es schon, das Haus betreten zu haben. Ich habe das Gefühl, die Wände hätten Hände bekommen, die an meinen Kleidern und Haaren ziehen, um mich wieder gefangen zu nehmen. Ich schüttle sie ab, gehe zur Kommode und ziehe die oberste Schublade auf. Die vergilbten Briefe liegen schwer in meiner Hand. Kurz halte ich sie fest, doch dann lasse ich sie zu Boden segeln. Jetzt liegen sie verstreut zu meinen Füßen. Aus der Tasche meines Mantels hole ich die Streichholzschachtel. Ich brauche mehrere Versuche, bis ich es schaffe ein Streichholz zu entzünden. Bevor ich mich im letzten Moment noch umentscheide, werfe ich es auf das Papier am Boden. Die Buchstaben aus Tinte entflammen und fallen zu Asche zusammen. Dumme Zeilen, verschwendete Tinte, Worte an eine Freundin, die es nie gegeben hat. Eine Träne tropft auf das Feuer hinunter, unfähig es zu löschen. Wenn ich hier etwas gelernt habe, dann dass Tränen machtlos sind, ganz anders als Feuer. Ich verlasse mein altes Zimmer. Auf dem Weg nach unten lausche ich den flüsternden Flammen. Als ich die Eingangshalle hinter mir gelassen habe, und auf den Kies der Einfahrt hinausgetreten bin, ist das Flüstern zu einem gierigen Grollen angewachsen, das das leere Haus eingenommen hat. Aus meinem Zimmer im obersten Stock steigt Rauch in die Luft. Das Feuer springt an der hölzernen Fassade entlang. Gestalten und Formen in raunendem Rot steigen in den Himmel empor. „Also hast du dich entschieden es zu tun.“ Rilo ist aus dem Wald gekommen und streift um meine Beine herum. „Definitiv die richtige Entscheidung.“ Er blickt mit seinen orangefarbenen Augen zu mir hoch. „Bist du denn gar nicht glücklich? Ich hätte eher erwartet, dass du einen Freudentanz aufführst.“ Ich zucke nur mit den Schultern. „Eure komplizierte menschliche Gefühlswelt erschien mir schon immer überflüssig.“ Mir entfährt ein Schnauben. „Das musst du gerade sagen.“ Rilo ist sich zu erhaben für eine Antwort. Doch wenn ich so in mich hinein spüre, fühle ich angesichts meines brennenden alten Gefängnisses kein Chaos aus Freude und Bedauern. Nur Leere. „Kommst du?“ Der Fuchs hat sich den Bäumen zugewandt. „Ich werde es mir noch ein wenig ansehen.“ „Gut. Du weißt ja, wo du mich findest.“ Abwesend nicke ich. „Und“, er wendet mir noch einmal sein Gesicht zu, „verlier dich nicht in den Flammen.“ „Versprochen.“ Rilo ist schon fast im Dickicht verschwunden, als ich ihm hinterherrufe: „Ich habe mich nie bei dir bedankt. Aber du, … du warst immer da.“ Soweit ich es erkennen kann, breitet sich die füchsische Entsprechung eines Lächelns auf seinem Gesicht aus. „Es war mir ein Vergnügen.“Auch lange nach Rilos Verschwinden sehe ich dem Haus beim Brennen zu. Nach und nach fällt es in sich zusammen. Balken stürzen ein und Funken stieben in die Luft. Irgendwann erlöschen die Flammen, und ein schwarzer, glühender Trümmerhaufen bleibt zurück. Ich mache ein paar Schritte auf die Überreste zu, und setze einen Fuß in die Glut. Es zischt unter meinem Stiefel, aber ich gehe weiter. Inzwischen ist die Nacht hereingebrochen und ohne das Licht des Feuers erkenne ich immer weniger. Doch dann formt sich vor mir eine Gestalt aus Schatten und Rauch. In ihren Händen hält sie einen noch glimmenden Brief. Mit seinen leeren vorwurfsvollen Augen starrt mich mein jüngeres Ich an. Doch ich bin unfähig ihm zu helfen, so sehr ich es auch wünsche. Das Wesen vor mir bin nicht mehr ich. Es ist gemeinsam mit dem Haus gestorben. Das Schattenkind ist auf die Knie gesunken, und sucht in der Asche nach weiteren Briefen. Aber mir sind die verbrannten Fetzen egal. Das Wesen jedoch nicht, nicht völlig zumindest. Ich strecke eine zitternde Hand nach ihm aus, doch ich fahre nur durch die kühle Nachtluft. Es ist fort. So sehr ich das schwache Kind auch immer verabscheut habe, ohne es fehlt ein Teil meiner Selbst. Auch meine Vergangenheit liegt unter den eingestürzten Dachbalken begraben, und keine Trauer kann sie wieder zum Leben erwecken. Rilo hat recht, ich sollte mich freuen. Aber in mir ist nur Leere. Ich wende mich dem Wald zu, und stapfe in die einbrechende Dunkelheit.

Von szadmin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert