Teil 2

– Griechische Philosophen„Von mir aus.“ Sascha zuckt unbeeindruckt mit den Schultern. „Na dann.“ Patrick marschiert, die Hände in die Hosentaschen seiner Shorts gestopft, auf den Anlegeplatz der Fähren zu. „Auf geht´s.“ David greift grinsend nach Pauls Arm und zieht ihn mit sich. Paul dreht sich noch einmal zu der Möwe um, die noch immer mit ihrer Brotbeute beschäftigt ist. „Wir brechen gerade Regeln“, summt David fröhlich vor sich hin. „Schau mal ein bisschen begeisterter drein.“ Er gibt Paul einen Knuff. Vor der Rampe auf das Deck der Fähre hat sich eine lange Schlange gebildet. „Wie viel kostet den der Spaß?“ Sascha reckt seinen Kopf um einen Blick auf die Preistafel zu bekommen. „10 Lira“, informiert ihn Paul, der auf ein Schild neben ihnen zeigt, das die Abfahrtszeiten und Preise der Fähren nach Comino in großen Lettern verkündet. „Besser du gibst dafür Geld aus, als für einen anderen bescheuerten Hut.“ Patrick schiebt Sascha den Strohhut über die Augen. Dieser reißt ihn sich vom Kopf und schlägt damit nach Patrick. Murrend setzt er ihn wieder auf, als Patrick ihm ausweicht. „Du hast wirklich keine Ahnung von Mode.“ David legt versöhnlich seine Arme um die Schultern der beiden. „Ach, das haben wir doch alle nicht.“ „Du hast dich gerade selbst beleidigt.“ David pustet sich unbekümmert eine Haarsträhne seines Ponys aus dem Gesicht. „Wenn du das als eine Beleidigung ansiehst.“ Paul richtet die Linse seiner kleinen Kamera auf seine drei Freunde und drückt auf den Auslöser. Vier grüne Scheine mit den Silhouetten dreier Vögel wechseln den Besitzer und die vier Jungen betreten die Fähre. Neben ihnen rennt ein Kind in Sandalen über das türkis gestrichene Deck. Sascha ergattert einen Platz auf einer Holzbank und streckt sein Gesicht dem Himmel entgegen. „Die Lehrer werden ausrasten, wenn sie hier von erfahren.“ Er grinst, begeistert von dieser Vorstellung. David grinst ebenfalls. „Das hier ist unsere Abschlussfahrt – es ist quasi unsere Pflicht die noch einmal auf die Palme zu bringen, bevor sie uns für immer los sind.“ Mit einem Ruck starten die Motoren im Schiffsinneren und die Fähre verlässt den Hafen von Cirkewwa.Heiß brennt die Sonne auf die Köpfe der Jungen. Der Fahrtwind peitscht Davids Haare zu merkwürdigen Formen auf, über die Patrick sich lustig macht. Paul entfernt sich von ihnen und geht zum Heck. Seine Finger umklammern die Reling von der die Farbe abblättert. Er nimmt seinen Beutel von der Schulter und stellt ihn vor sich. Hinter der Fähre kräuselt sich das Meer und formt weiße Strudel. Möwen folgen dem Schiff und es kommt Paul vor als wären die gelblichen Augen auf ihn gerichtet. Er sieht nicht mehr länger das kleiner werdende Malta mit ihrer Jugendherberge und dem Hafen von Cirkewwa. Er sieht Jonathan mit seinen Locken, die ihm ins Gesicht fallen, als er sich über das Buch beugt. Griechische Philosophen. Die Ecken des Buches sind eingerissen, weil Jonathan es so oft mit sich herumträgt. Hätten sie sich ohne das Buch überhaupt kennengelernt? Paul wird von dem Verlangen überkommen den albernen Teddybären zu packen und über Bord zu werfen. Damit er in den Wellen ertrinkt. Er ist nur ein Freund. Beinahe sagt Paul es laut, nur um sich davon zu überzeugen. Nur ein Freund. Aber Paul denkt nie über Davids Lächeln nach, und auch nicht die Farbe seiner Augen. Was ist Jonathan denn, wenn er kein Freund ist? Ein großer Bruder? Das Verlangen wird stärker. Mit dem Bären könnte er auch all die Fragen ertränken. Sie vergessen. Vor ihnen fliehen. Im letzten Sommer hatte Jonathan vorgeschlagen am Ufer statt in der Bücherei zu lernen. Sie hatten dort gesessen und als sie zu müde für Caesar und Cicero geworden waren, hatten sie sich in die hohe Wiese gelegt und Jonathan hatte leise ein Lied vor sich hingesungen. Paul mochte seine Stimme, er mochte ihr ewig lauschen. Er mochte ihn. Er mag Jonathan noch immer. Aber wie konnte er ihn mögen? Wie kann er den klugen Jungen mit den braungrünen Augen mögen? Wie kann er einen Jungen mögen? Paul schüttelt den Kopf. Das ist Unsinn. Er bildet sich nur etwas ein. Da ist nichts. Ganz einfach. Er atmet ein und saugt die warme Luft und den Geruch des salzigen Meeres ein. Ganz einfach.

Von szadmin

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