Teil 3

– Felsenklänge

Die Jungen laufen am Strand entlang, Paul etwas weiter hinter ihnen, immer nach Motiven für seine Fotos suchend. Bei einer kleinen Strandbar bleibt David stehen und stellt sich in die Schlange vor dem Stand. Mit vier Dosen kehrt er zu seinen Freunden zurück. Sie sitzen auf einer Gruppe großer Steine. David gibt ihnen je eine Dose und hält seine in die Mitte. „Lasst uns anstoßen.“ Mit einem metallischen Klang schlagen die Dosen gegeneinander. „Auf das wir Freunde bleiben.“ David grinst in die Runde, und sie erwidern sein Grinsen – obwohl ihnen allen klar ist, dass sie das mit großer Wahrscheinlichkeit nicht bleiben werden, sobald sie sich nicht länger jeden Tag hinter den Mauern ihrer Schule sehen. Aber ist es nicht schön daran zu glauben? Sie öffnen die Verschlüsse der Dosen. Bittersüß zergeht die bernsteinfarbene Limonade auf Pauls Zunge, so wie jede Minute des Sommers. Die Dosen in den Händen setzten sie sich wieder in Bewegung und wandern den Strand voller sich sonnender Menschen entlang. Die flache Ebene des Strandes erhebt sich zu felsigen Hügeln zwischen denen ein Pfad hinauf führt. Einer Gruppe Wanderer folgend stapfen die Vier die Hügel hinauf. Ihre Füße wirbeln Staub auf. Sie halten sich die Hände vor die Gesichter um die Sonne abzuwehren. Aus dem feinen Sandstrand wird eine orangene Ebene, bewachsen von Gestrüpp und gespickt mit kleinen Felsen. „Wo wollen wir eigentlich hin?“, ruft Patrick der Sonne entgegen blinzelnd David an ihrer Spitze zu. „Keine Ahnung!“, brüllt David zurück. Patrick murrt, dreht aber nicht um. Paul fährt mit dem Finger über die metallene Dose in seiner Hand bedruckt in Rot, Orange und Gelb. Leicht keuchend bleiben sie oben angekommen stehen. Unter ihnen liegt der Strand mit den Touristen auf ihren bunten Tüchern und den Punkten von Badenden im Meer. „Was ist denn das?“ Sascha deutet auf eine quadratische Festung, die fünfzig Meter entfernt auf der Hügelkuppe aufragt. „Der St. Maryˋs Tower.“ Sascha klopft Paul auf die Schulter. „Kein Wunder, dass unser Streber das mal wieder weiß.“ Paul verdreht die Augen. Er selbst würde sich nicht Streber nennen – und wenn er lernte, dann mehr um Jonathans willen, nicht der Noten wegen. „Würde ein Streber einfach mit euch auf eine andere Insel fahren, und so gut wie jede Regel, die für diese Fahrt gilt brechen?“ „Naja, du bist eben ein spezieller Streber“, argumentiert David. Paul kann nicht anders, als erneut mit den Augen zu rollen. „Großartig. Wollen wir jetzt die Festung besichtigen?“ Patrick aber schaut nicht zur Festung, sondern auf die andere Seite des Hügels wo er wieder abflacht, und sich die Dächer von kleinen Läden abzeichnen. Er dreht sich wieder zu seinen Freunden. „Ich habe eine bessere Idee. Da unten ist ein Autoverleih.“ Seit er vor knapp anderthalb Monaten endlich erfolgreich seine Führerscheinprüfung bestanden hatte, brannte er auf jede Gelegenheit seinen Freunden seine Fahrkünste zu präsentieren. „Du kutschierst uns durch die Gegend?“, hakt Sascha nach. „Genau.“ Patrick trabt einen Pfad in Richtung des Autoverleihs hinunter. Sascha folgt ihm. „Klingt doch ganz vernünftig. Vor allem da du die Karre bezahlen wirst.“ Er gibt Patrick einen Stoß mit seiner Schulter. „Kommst du?“ David wartet auf Paul der noch da steht. „Ich komm gleich.“ Paul schaut die Klippen hinunter und über das Meer wo Malta zu sehen ist, und wenn er sich dreht die dritte Insel. Er drückt auf den Auslöser seiner Kamera und senkt sie wieder. Was würde er tun, wäre Jonathan jetzt hier?Patrick verhandelt auf Englisch mit dem alten Autohändler, während die anderen sich in die Schatten des Daches über ihnen gesetzt haben. Einen Schlüssel in der Hand schwingend kehrt Patrick zu ihnen zurück, und sperrt einen klapprigen roten Wagen auf. Er öffnet die Tür. „Wenn ich Sie bitten darf einzusteigen und Zeugen meiner außergewöhnlichen Fahrkünste zu werden.“ Sascha schmeißt sich auf den Beifahrersitz, David und Paul setzen sich auf die Rückbank. Der alte Autoverleiher schüttelt den Kopf beim Anblick der sich auf den Sitzen fläzenden Jungen. Patrick steckt den Schlüssel ins Zündschloss und erweckt den Wagen zum Leben. Brummend verlässt das rote Auto den Parkplatz und rollt über die Straße. „Ich habe keine Ahnung wo hin ich fahre!“, ruft Patrick seinen Mitfahrern über die Geräusche des Motors zu. „Davon sind wir auch nicht ausgegangen“, erwidert David grinsend. Paul kurbelt sein Fenster hinunter und streckt die Hand hinaus. Der Wind fährt ihm durch die Haare und er schließt die Augen. Es war ganz und gar nicht einfach. Er spürt sein zusammengeklapptes Handy in seiner Hosentasche. Er könnte es herausnehmen und… Er öffnet die Augen wieder. Der Teddy schaut ihn aus dem Beutel auf seinem Schoß durchdringend mit seinen schwarzen Knopfaugen an. Langsam zieht Paul das Handy aus seiner Tasche. Um ihn streiten sich seine Freunde lautstark, welche Route sie einschlagen sollen, doch er nimmt sie nicht wahr. Mit leicht zitternden Fingern tippt er erst die Vorwahl für Deutschland ein und dann die restlichen Ziffern, die er auswendig gelernt hat. Sein Finger schwebt über der Taste mit dem grünen Hörer. Das wäre ganz einfach. Drei Worte. Er drückt auf die Taste. Das Klingeln hört er nur leise über den Fahrtwind, trotzdem passt sich sein Herzschlag dem Rhythmus an. „Hallo? Paul?“ Seine Stimme. Er hatte sie vermisst. „Hi Jonathan.“ „Paul, ist alles in Ordnung?“ Paul schaut auf die Landschaft die an ihm vorbeizieht. Am Himmel über ihm kreisen Vögel. Vielleicht ja Möwen. „Ich möchte dir etwas sagen.“ Jonathan wartet. Paul kann seine braungrünen Augen sehen. Er spürt den Wind an seinen Fingern. Er schreit. Sie alle hören ihn, David, Patrick und Sascha, die Touristen auf dem Weg neben der Straße, die Möwen am Himmel und Jonathan. „Ich liebe dich!“

Von szadmin

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